Wie man auf der Welle der Aufmerksamkeit reitet

Unter dem Motto „Kampf um Reichweiten“ debattierten Branchengrößen beim gestrigen APA-DeFacto Business Breakfast über Präsenz und Reichweiten.

In Zeiten, in denen Trump die Präsidentschaftswahl mit Twitter gewinnt, Van der Bellen seine Kandidatur über YouTube bekannt gibt und Armin Wolf über Social Media gleich viele Menschen erreicht wie über die ZIB II, muss man sich fragen: Bewegt Präsenz allein?
Die Antwort laute Jein, so Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas Wien und Kommunikator des Jahres 2016. In seiner Keynote sprach er über Chancen und Gefahren großer Reichweiten. Durch die heutige Schnelllebigkeit bilden sich User sofort eine Meinung, seien schnell im Urteilen und Verurteilen. Dadurch können Shitstorms umso schneller entstehen. „So ein Shitstorm, das geht an die Psyche.“ Manchmal helfe nur Durchtauchen und Ausklinken aus der Diskussion, da man sonst schnell in eine Rechtfertigungsspirale gelange, die das verlorene Vertrauen in das Produkt oder die Organisation nur weiter auf die Probe stelle. In manchen Situationen könne man sich solche Empörungswellen aber auch zunutze machen. Im Juli postete ein BILLA-Kunde ein Foto von einer schief durchgeschnittenen Wurstsemmel als Beschwerde auf der Facebook-Seite der Supermarktkette. Wenige Stunden später hatte der Beitrag über tausend Likes und Kommentare. Schwertner nützte die Chance, um auf der Empörungswelle mitzuschwimmen. Unter der Frage „Kann dieses Posting über hungernde Kinder mehr Likes bekommen als diese schief durchgeschnittene Wurschtsemmel???????“ teilte er den Beitrag, mit Erfolg. „Dadurch war ein Teil der Aufmerksamkeitswelle übergeschwappt auf mein Posting.“ BILLA verbreitete daraufhin ein eigenes Video zum Thema und versprach Spenden an die Caritas für jeden Like. So kehrte die Supermarktkette den aufkeimenden Shitstorm ins Gegenteil um und Caritas erhielt € 5.000 Spenden.
Shitstorms beikommen. Das Thema Shitstorms wurde auch in der Podiumsdiskussion aufgegriffen. Dort debattierten neben Schwertner Klemens Ganner, Geschäftsführer von APA-DeFacto, Barbara Grohs, Konzernsprecherin von Telekom Austria, Petra Hauser, CEO/Founder des Exponential Business Hub und Julia Wippersberg, PRVA-Präsidentin. Hauser verwies auf den Dieselskandal um VW und machte auf die Risiken zu großer Reichweite aufmerksam: „Reichweite ist hochrelevant, aber manchmal werden auch Botschaften übertragen, wo man sie nicht haben will.“ In einer globalisierten Welt sei es schwierig, Botschaften geografisch einzuschränken. Die wichtigste Strategie, um mit solchen Shitstorms umzugehen: „Empathie zeigen“. Hauser wies dabei auf die Wichtigkeit flacher Hierarchien und multifunktionaler Teams hin. Wenn alle Mitarbeiter Verantwortung übernehmen, könne das Unternehmen schneller agieren und einen Shitstorm besser abfangen. Durch flache Hierarchien funktionieren Unternehmen auch intern besser: „Ein Mitarbeiter sollte Neuigkeiten über das Unternehmen nicht aus der Zeitung erfahren“, so Grohs. Daher habe Telekom seine interne Kommunikation mit Facebook Workplace revolutioniert und demokratisiert. „Es geht um gegenseitige Befruchtung, Austausch, voneinander Lernen.“
Heute kann jeder Kommunikator sein. Ein weiteres Thema der Podiumsdiskussion waren die unterschwelligen Technologien, die es im Grunde jedem ermöglichen, nach außen zu kommunizieren. Wippersberg machte auf die Risiken aufmerksam: „Kommunikation ist kein Selbstzweck, sondern eine professionelle Vertretung des Unternehmens.“ Daher solle diese Managementaufgabe auch in der Geschäftsführung bleiben. Ganner stimmte dem zu: „Kommunikation muss immer zum Unternehmensziel beitragen.“
In den Zeiten von Lügenpresse und alternativen Fakten werden Vertrauen und Glaubwürdigkeit immer wichtiger. Um Vertrauen langfristig aufzubauen und zu stärken, empfiehlt Schwertner ehrliche Kommunikation, Authentizität und einen respektvollen Umgang mit Social Media, wo auch das persönliche Gespräch gesucht werden sollte: „Ja, Zeit nehmen und direkte Kommunikation ermöglichen, das schafft Vertrauen.“  Dem stimmt Ganner zu, der ein CEO-Ranking zur Medienpräsenz durchgeführt hat: „Das Vertrauen in eine Person wird immer höher sein als in ganze Organisationen.“
Zukunftsperspektiven: einen kühlen Kopf bewahren. Hauser ist sich sicher: „Künstliche Intelligenz wird in drei bis fünf Jahren alles verändern. Von Wirtschaft zu sozialen Medien. Das ist ein Faktum.“ Wie genau die Kommunikation in Zukunft aussehen könnte, kann niemand mit Sicherheit sagen. Die dramatischen Veränderungen der letzten Jahre lassen jedoch darauf schließen, dass weitere Entwicklungen ähnlich rasant fortschreiten werden. Grohs empfiehlt daher, flexibel zu sein und positiv auf Neuerungen zuzugehen. Ganner betonte, dass auch in Zukunft zwei Aspekte am wichtigsten bleiben werden: „Vertrauen und Wahrheitsgehalt“.