Chaos is the only absolut evil – Chinas Brands im gesellschaftspolitischen Spannungsfeld

© IAA Austrian Chapter
V.l.: IAA Generalsekretärin Christine Antlanger-Winter, Tom Doctoroff, IAA Executive Director Gabriela Stimpfl-Abele

Tom Doctoroff, Verfasser von Büchern wie „What Chinese want“, „Twitter is not a Strategy“ oder „Billions – Selling to the new Chinese Consumer“, begeisterte beim IAA Business Communication Breakfast mit einem topaktuellen Vortrag über innovatives Brandmanagement in China.

Laut der Brand Relevance Index Studie (BRI), bei der mehr als 15.000 chinesische Konsumenten in Bezug auf 121 führende lokale und 115 globale Brands befragt wurden, haben erfolgreiche Marken vier Anforderungen zu erfüllen: Sie müssen sowohl ganz nah am Leben der Konsumenten, ihren Wünschen und Begehrlichkeiten, also „Customer obsessed“, als auch „Ruthlessly Pragmatic“ – einfach, verlässlich, praktisch, verfügbar und konsistent, sowie „Distinctively Inspired“ – motivierend, vertrauenswürdig, authentisch sein und „Pervasively Innovative“ nach neuartigen Lösungen und Wege suchen.

Doctoroff erläuterte, dass Brandbuilder die „konfuzianische Spannung zwischen dem Aufstieg in der sozialen Hierarchie und dem Schutz vor Versagen verstehen müssen: „Chinesische Konsumenten wollen ihre Status projizieren und gleichzeitig ihre wirtschaftlichen und sozialen Interessen, allem voran ihre Familie, schützen.“ Die Leidenschaft für Luxusmarken, übertriebene Namen von Wohngebäuden (z.B. „Die Versammlung aller Helden unter dem Himmel“), allgegenwärtige VIP-Karten einerseits und die übertriebenen Angst vor Keimen und die Fixierung auf Feng Shui andererseits, sind nur einige Beispiele für diesen Konflikt. Diese Dualität kann für Unternehmen verwirrend sein, wenn sie versuchen, die Loyalität chinesischer Verbraucher zu gewinnen. Um in China erfolgreich zu sein, braucht es laut Doctoroff drei goldene Regeln: „Maximize Public Consumption“, „Externalisation of Pay-off“ und „Reassurance 2.0“.

„Maximize Public Consumption“: Am Beispiel von Starbucks erklärt Doktoroff, wie es möglich war, eine Kaffeemarke im Land der Teetrinker erfolgreich zu etablieren: Obwohl Chinesen tatsächlich keinen Kaffee mögen, gibt es in China rund 3500 Starbucks Filialen. Starbucks gelang dieses Marketingkunststück indem es seine Shop-Strategie änderte: Die Lokale in China sind deutlich größer und die Tische länger als in den USA oder Europa und die Leute gehen dorthin, um die Zugehörigkeit zu einer neuen Elitegeneration zu demonstrieren. Man trifft sich hier für Businessmeetings, oder um gesehen zu werden und dafür ist man auch bereit Geld auszugeben.

„Externalisation of Pay-off“: Marken müssen Mittel zum Zweck sein. Während es im Westen ausreicht, sich z.B. gesund zu fühlen, weil man mit bestimmten Sportmarken trainiert, muss man in China schon „The new you“ werden. Bei einem Urlaubstrip geht es nicht um das Genießen der Natur oder der Gastfreundschaft, sondern darum, Erfahrungen als Weltbürger zu sammeln – alles belegt anhand zahlreicher, perfekter Selfies – die allesamt durch eine „Verschönerungs-App“ laufen, denn nichts ist schlimmer, als ein unvollkommenes Bild von sich selbst oder seinem Leben zu zeigen.

„Reassurance 2.0“: China ist eine Gesellschaft mit begrenztem institutionellen Schutz. Es gibt keine unparteiischen Gerichte, Bankkredite werden durch ein undurchsichtiges Netz persönlicher Beziehungen vergeben und Lebensmittelsicherheit ist nicht selbstverständlich. Marken können dieses Verlangen nach Sicherheit befriedigen, indem sie Mehrwertprodukte und -dienstleistungen anbieten, die zuverlässig, breit verfügbar und erschwinglich sind. Die besten Marken sorgen für ein beruhigendes Gefühl, wie z.B. das digitale Zahlungssystem AliPay, die absolute Nummer 1. Es punktet mit Behauptungen wie „in guten und schlechten Zeiten an Ihrer Seite… und der Ihres Kindes“- mittlerweile hat AliPay 520.000.000 User weltweit, fast doppelt so viel wie PayPal. Online-Kampagnen sind im Vergleich zum Westen deutlich emotionaler aufgeladen. „Das liegt vor allem daran, dass die Identitätsentwicklung in der realen chinesischen Welt aufgrund der Reglementierung unterdrückt wird. Online, wo man sich durch Avatare und Distanz schützen kann, ist es wesentlich leichter, sich auszuleben“, meint Doctoroff, „natürlich gibt es das auch in der westlichen Welt, aber die Dynamik ist bei weitem nicht so stark.“ Der chinesische Markt ist noch lange nicht gesättigt: „Es gibt einen großen weißen Fleck auf Chinas Markenlandkarte – zwischen „Accessible Mass Brands“ und „Premium Brands“ warten ungenutzte Möglichkeiten auf innovative Brandbuilder – eine unglaubliche Chance für lokale und internationale Brands – wenn man weiß, was Chinesen wollen und wie sie ticken.“

Tom Doctoroff  (IAA Vice President, Strategy) ist eine anerkannte Führungspersönlichkeit, ein globaler Brandbuilder und einer der international führenden Experten für chinesisches Konsumverhalten. Er wurde zum CEO von J. Walter Thompson ernannt, einem der weltweit größten Marketing- und Kommunikationsunternehmen. Als Autor schrieb er anerkannte Fachbücher wie „What Chinese want“, „Twitter is not a Strategy“ oder „Billions – Selling to the new Chinese Consumer“. Er kommentiert regelmäßig auf CNBC, NBC, Bloomberg und National Public Radio sowie in der Financial Times, Bloomberg BusinessWeek, The Wall Street Journal und der New York Times.