Ändert sich doch eh nix?

Deutsche und Österreicher sind recht gut im Nörgeln. Dabei stehen die beiden EU-Nationen sehr gut da. Die Umweltpolitik hat nicht alles geschafft, was gewollt war, kann aber auf große Erfolge zurückblicken. Jetzt geht es darum, an dem Prozess festzuhalten und die gewachsenen Strukturen zwischen den Ländern, über die EU hinweg bis hin zur UNO von innen heraus nachhaltig und demokratisch zu stärken. Die Power ist da, denn immer mehr Verbraucher und Printbuyer fordern nachhaltige und faire Produkte und sorgen damit für den nötigen Schub.

Mit Blick auf die EU ist Fakt, dass wir Europäer nie etwas Besseres hatten – da genügt der Blick in die Geschichtsbücher. Natürlich gibt es reichlich zu kritisieren.
Darum geht es ja gerade, nämlich nicht passiv zu meckern, sondern aktiv zu gestalten.
Jeder kann und soll an diesem Prozess teilhaben: Druckdienstleister, Drucksacheneinkäufer, Kreative und Medienproduktioner, Konsumenten und Verbraucher, Lebensmittelproduzenten, Bauern, die Industrie, Umwelt-Lobbys, Regionalpolitiker und so weiter. Die Idee „System Change für Climate Change“ ist sicherlich keine Utopie, aber ein insgesamt beschwerlicher und sehr langer Weg. In der EU müssen die Interessen von 500 Millionen Menschen unter einen Hut gebracht werden. Die Vereinten Nationen (UN) sind nochmals komplexer und denken Nachhaltigkeit im globalen Maßstab.
Wer Begriffe wie „Energiewende“, „Welthungerhilfe“, „17 Goals“, „Agenda 21“ oder „Veggie-Boom“ googelt, findet eine Fülle von Informationen über sehr weitreichende Fortschritte in vielen Bereichen. Mittlerweile liegt der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung bei weit über 50 Prozent in Deutschland. Die Energiewende wird von anderen Staaten als Erfolgsmodell bezeichnet und wird zu einer Erfolgsstory, trotz aller Rückschläge und berechtigten Kritiken. Heute trennen wir den Müll, tanken bleifreies Benzin, dämmen Häuser, die mit mehrfach verglasten Scheiben ausgestattet sind, nutzen LED-Technik und Energiesparlampen. Unternehmen erzeugen zunehmend eigene Wind- und Solarenergie. Wir substituieren Atom- und Kohlekraftwerke mit zunehmendem Erfolg. Wir konnten das Waldsterben der 80er-Jahre stoppen. Wir diskutieren proaktiv über Alternativen zum Plastik (Plastiksteuer der EU in Planung), haben Fairtrade, Dosenpfand und recyclen Papier in gigantischem Umfang, auch in öffentlichen Einrichtungen. Seit 1984 gibt es den Katalysator, nebst der zunehmenden Elektromobilität und immer saubereren Verbrennungsmotoren und so weiter.

Die Nachfrage wächst aus der Basis heraus. Auch der Veggie-Boom ist eine Erfolgsstory und wirkt bereits massiv gegen Massentierhaltung mit all ihren Folgen (Sojaanbau, Nitratbelastung, Keime, Tierquälerei etc.). Es gibt 900.000 Veganer, circa 7,8 Millionen Vegetarier, und etwa 50.000 Frutarier – alleine in Deutschland. Der Veggie-Boom ist exemplarisch für die Macht der Verbraucher – eine friedliche „Revolte“ von unten nach oben. Ein Boom, der sich laufend verstärkt: Allein im ersten Quartal 2020 stieg der Absatz von Fleischersatzprodukten um sagenhafte 37 Prozent! Passiert doch eh nichts?
Daneben wird der Geist von Gemeinwohl und Purpose die Zukunft von innen heraus stark prägen. Das sind keine Spinnereien. Unternehmen wie der Outdoor-Ausrüster VAUDE, die Versicherung BKK Provita, der Energieversorger Polarstern, der Anbauverband Bioland oder die Sparda Bank erstellen bereits regelmäßig Gemeinwohlbilanzen. Auch in der Druck- und Medienbranche kribbelt und krabbelt es. Immer mehr nachhaltige Agenturen fragen sehr konkret nach umweltgerechten Drucksachen und wollen, analog zu den UmDEX-Druckereien, nicht einfach nur Standards abhaken. Nachfolgend einige Beispiele von Druckereien, die die Topkriterien des UmDEX/Print erfüllen:


Die Druckstudio GmbH aus Düsseldorf hat u. a. für die Deutsche Telekom AG und die Metro AG Geschäftsberichte hochwertig nachhaltig veredelt (Blindprägungen, Stanzungen) und aufwändig in Handarbeit konfektioniert. Die Druckwerke sind durchweg auf zertifizierten Papiersorten und im Umfeld einer hochwertig nachhaltig zertifizierten Druckumgebung hergestellt worden. Das war ein klar formuliertes Ausschreibungskriterium beider Unternehmen (Abb. 1: Metro-Geschäftsbericht).


Die Kern GmbH hat den Nachhaltigkeitsbericht für die Fraport AG produziert. Der Auftraggeber hat größten Wert auf optimale Umweltgerechtigkeit gelegt und den Auftrag entsprechend ausgeschrieben. Der 92 Seiten umfassende Bericht wurde vollständig mit dem Blauen Engel DE-UZ 195 zertifiziert, was die Umweltgerechtigkeit des gesamten Produktes und nicht nur für das eingesetzte Papier garantiert (Abb. 2: Fraport Nachhaltigkeitsbericht).


Zur Feier des 25-jährigen Jubiläums der Kooperation zwischen der Rosenthal GmbH und dem Mailänder Modehaus Versace wurde eine limitierte Auflage besonderer Geschirr-Einzelstücke aufgelegt: 25 Teller und Teetassen, geschmückt mit 25 legendären Versace-Dekors. Der Auftraggeber suchte für seinen exklusiven Katalog explizit nach einer überzeugend nachhaltigen Druckerei und schrieb den Auftrag mit entsprechenden Vorgaben aus. Die bonitasprint gmbh hat den edlen Geschirr-Katalog nachhaltig in einer umweltgerechten Produktionsumgebung hergestellt (Abb 3: Geschirrkatalog).


Auch die Lokay Druck e. K. erhält seit Jahren zunehmend sehr konkrete Anfragen von Printbuyern, die sich dezidiert über die Produktionsbedingungen und Zertifizierungen im Umweltschutz informieren. Neben großen Kunden wie dem WWF oder Weleda, suchen, wie beschrieben, gerade auch kleinere Agenturen und Verlage immer häufiger zertifiziert nachhaltige Druckdienstleister: Zum Beispiel Matabooks, ein alternativer Verlag, der konkret nach einer hochwertig zertifizierten Druckerei Ausschau gehalten hat, die einen Roman auf Graspapier, nebst Einhaltung hoher Umweltstandards, produzieren kann (Abb. 4: Roman).


Das DBM Druckhaus Berlin-Mitte GmbH produziert immer häufiger umweltgerechte Drucksachen für Agenturen, die sehr konkret nachhaltig konzipiert werden. Die Star-Yoga-Influencerin, die Yoga-Lehrerin Mady Morrison z. B., wollte ihren Yoga-Kalender unbedingt nachhaltig und auf natürlichen Papieren gedruckt wissen. Beim Druckhaus Berlin wurde der Kalender nach den strengen Vorgaben des Blauen Engel für gesamte Druckerzeugnisse DE-UZ 195 hergestellt und entsprechend gelabelt (Abb. 6: Yoga-Kalender).


Aufgrund des vorbeschriebenen Veggie-Booms wollen immer mehr Printbuyer auch bei ihren Drucksachen nachvollziehbare Garantien dafür, dass ohne tierische Bestandteile produziert wird. Die oeding print GmbH druckt als Mitentwicklerin des bekannten Vegan-Logos (V-Label speziell für Drucksachen) deshalb immer häufiger vegane Drucksachen. Die Autorin Lea Green hat mehrere vegane Kochbücher mit veganen Rezepten bei der oeding print GmbH drucken lassen, erschienen im GrünerSinn Verlag, der sich auf vegane Publikationen spezialisiert hat. Ausschreibungskriterium war die Garantie, dass Bestandteile wie Papier, Farbe oder Toner, Lacke und Klebstoffe, einschließlich aller Hilfsstoffe, die im Herstellungsprozess in direkten Kontakt mit dem Druckprodukt kommen, garantiert ohne tierische Bestandteile sind (Abb. 6: Vegane Bücher).

Auch die Janetschek GmbH führt zunehmend Gespräche mit Agenturen und Unternehmen, die sich mit konkreten Vorstellungen über umweltgerechte Drucksachen informieren oder entsprechend dezidiert ausschreiben. So auch Behörden. Das Spiel „CHALLENGE accepted!“, in Anlehnung an die 17 Goals der Vereinten Nationen wurde im Auftrag des österreichischen FORUM Umweltbildung ausgeschrieben. Die Janetschek GmbH produzierte dieses Spiel bereits in mehreren Auflagen vollständig, nebst Konzeption, nachhaltiger Produktion in verschiedenen Stufen sowie Konfektionierung in Handarbeit.

Nachhaltigkeit als Kriterium bei öffentlichen Ausschreibungen. Dass Behörden Drucksachen mit nachhaltiger Produktion als Bedingung ausschreiben, ist jedoch leider immer noch die Ausnahme. Zumeist wird Print preis- und nicht umweltorientiert eingekauft. Damit werden Discount-Drucker unterstützt, die gerade deshalb preisführend sind, da viele Aufwände im Umweltschutz eingespart werden.
Seitens öffentlicher Ausschreibungen müsste dringend ein Zeichen gesetzt werden, ganz im Sinne der Absichten aller EU-Regierungen, die nachhaltige Entwicklung zu fördern.
Die Lastenverteilung bei der Nachhaltigkeit muss dringend neu justiert werden, auch in Bezug auf die Kennzeichnungspflichten von Drucksachen. Derzeit ist es leider so, dass Empfänger von Print eine nicht umweltgerecht produzierte Drucksache nur daran erkennen, dass ein entsprechendes Umwelt-Label fehlt. Idealerweise wäre es umgekehrt, was generell gilt:
Nicht der fair gehandelte Kaffee müsste gelabelt werden, sondern der unfair gehandelte. Nicht ein Bioprodukt müsste für sich werben müssen, sondern alle anderen Erzeugnisse mit Warnhinweisen versehen werden, z. B. in Bezug auf chemische und gefährliche Zusatzstoffe. Nicht Eier von artgerecht freilaufenden Hühnern sollten als solche deklariert werden müssen, sondern Eier von gequälten Tieren als Produkte aus der Massentierhaltung.
Vielleicht könnte sich das Reglement für die Druckbranche ein Stück weit an der Lebensmittelindustrie orientieren, die längst schon Nährwerttabellen auf Produkten abbildet oder Verbraucher künftig mit dem sogenannten Nutri-Score-Label besser informieren will – eine fünfstufige Farb- und Buchstabenskala, die einen Überblick über die Nährwertqualität eines Produkts liefert. Dass so was auch in Verbindung mit dem Umweltschutz möglich ist, zeigt ein aktuelles Projekt: REWE wird künftig testweise auf Produkten angeben, was Lebensmittel kosten würden, wenn man sämtliche Umweltschäden einpreist. Diese Daten wurden zuvor von Wissenschaftlern ermittelt.


Jürgen Zietlow