Medienjahr 2022: Medienpolitik am Zug und ORF-Umbrüche

Das Medienjahr 2022 verspricht so manche Neuerungen und weist das Potenzial für noch größere auf. Fixiert ist, dass Roland Weißmann mit seinem Team die ORF-Führung übernimmt und die Redaktionen in den multimedialen Newsroom am Küniglberg siedeln. Auch wird die „Wiener Zeitung“ ein neues Geschäftsmodell erhalten. Offen ist, ob die Medienförderung nach der Inseratencausa auf neue Beine gestellt und eine Digitalnovelle des ORF-Gesetzes beschlossen wird.

Eine potenzielle Neuordnung der Inseratenvergabe und Medienförderung würde die gesamte Branche treffen. Seit Jahren bemängeln Expertinnen und Experten, dass die Inseratenbudgets der Regierung im Verhältnis zu den diversen gesetzlich verankerten Medienförderungen zu hoch seien. Die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zur Inseratenaffäre ließen die Rufe – auch der Opposition – nach einer Neuordnung dringlicher werden.

Ob die Forderungen Realität werden, liegt maßgeblich in den Händen der ÖVP und neuerdings speziell in jenen von Susanne Raab (ÖVP). Sie hat die vormals beim Bundeskanzler angesiedelten Medienagenden erhalten. Im Medienkapitel des Regierungsprogramms sind die Weiterentwicklung des Medien-Förderwesens sowie die Überprüfung der derzeitigen Vergabe- und Förderkriterien jedenfalls vorgesehen.

Eine neue Medienförderung – die Digitalisierungsförderung – wird aller Voraussicht nach im Sommer 2022 erstmals ausgezahlt. Vor wenigen Tagen gab die EU-Kommission grünes Licht dafür. Sie muss noch durch das Parlament, woraufhin sie bei der für die Ausschüttung zuständigen Regulierungsbehörde RTR landet. Sie ist regulär mit 20 Mio. Euro pro Jahr dotiert. Im ersten Jahr der Auszahlung wird sie jedoch rückwirkend für drei Jahre ausbezahlt und summiert sich dadurch auf über 50 Mio. Euro. Die Digitalisierungsförderung kommt Printmedien sowie Rundfunksendern für deren Digitalisierungsbestrebungen zugute und soll eine „unabhängige und pluralistische Medienlandschaft“ sicherstellen.

Zwischen den Fronten befindet sich Raab in Hinblick auf die vom Bundeskanzleramt für im Laufe des kommenden Jahres angekündigte ORF-Digitalnovelle. Denn was in dieser enthalten sein soll, scheidet die Geister der heimischen Medienbranche. Der ORF wünscht sich eine Entfesselung im digitalen Raum, da er sich im europaweiten Feld der öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen diesbezüglich als Schlusslicht wähnt. Konkret schwebt dem Medienhaus etwa die Abschaffung der 7-Tage-Abrufregelung sowie die Genehmigung von „online first“- und „online only“-Inhalten vor. Auch soll mit der Novelle der geplante ORF-Player ermöglicht werden. Im Gegenzug betont der ORF seinen Willen zur Kooperation mit heimischen Privaten, denn der wahre „Gegner“ seien doch internationale Plattformen.

Die privaten Medienhäuser und Verbände stehen einer verstärkten Zusammenarbeit offen gegenüber. „Anhängsel“ – etwa beim ORF-Player – will aber niemand sein. Kooperation auf Augenhöhe ist gefragt. Eugen A. Russ, Vizepräsident des Verbands Österreichischer Zeitungen (VÖZ) oder auch die kronehit-Geschäftsführer Mario Frühauf und Philipp König hielten in „Horizont“-Interviews bereits fest, dass es einen fairen Interessenausgleich aufseiten der Privaten brauche. Im einst mit dem Fahrplan zur ORF-Digitalnovelle veröffentlichten Ministerratsvortrag steht jedenfalls geschrieben, dass der heimische Wettbewerb durch die Novelle nicht „unverhältnismäßig verzerrt“ werden dürfe, der ORF aber auch technologische und programmliche Innovationen im Interesse des österreichischen Publikums entwickeln können müsse. Zu intensiveren Verhandlungen rund um die Novelle dürfte es im 1. Quartal 2022 kommen.

Für den ORF wird bei den Verhandlungen Roland Weißmann eine tragende Rolle spielen. Er übernimmt mit 1. Jänner den ORF-Generaldirektorenposten und löst damit Alexander Wrabetz ab, der 15 Jahre lang das größte Medienhaus des Landes führte. Weißmanns zentrales Direktorenteam tritt ebenfalls mit Jahresanfang ihre fünfjährige Funktionsperiode an. Es besteht aus Programmdirektorin Stefanie Groiss-Horowitz, Technikdirektor Harald Kräuter, Finanzdirektorin Eva Schindlauer und Radiodirektorin Ingrid Thurnher. Zu konkreten Plänen für die kommenden Jahre hielt sich das Team noch weitgehend bedeckt.

Auch in den ORF-Landesdirektionen tut sich einiges. Mit Jahresanfang finden sich dort fünf neue Personen an der Spitze ein: Edgar Weinzettl in Wien, Robert Ziegler in Niederösterreich, Klaus Obereder in Oberösterreich, Esther Mitterstieler in Tirol und Waltraud Langer in Salzburg. Erneut in einem ORF-Landeschefsessel nehmen Werner Herics im Burgenland, Gerhard Koch in der Steiermark, Karin Bernhard in Kärnten und Markus Klement in Vorarlberg Platz.

Abseits der Direktorenposten dreht sich das ORF-Personalkarussell ungebremst weiter. So folgt etwa Doroteja Gradištanac, früher bekannt als Dodo Roščić, Monika Eigensperger als FM4-Senderchefin nach. Kathrin Zierhut-Kunz wird kaufmännische Geschäftsführerin von ORF III. Für den Posten der ORF III-Chefredakteurin dürfte Lou Lorenz-Dittlbacher gute Karten haben. Ebenfalls noch offen ist, wer Langer als Chefredakteurin für die TV-Hauptabteilung Magazine und Servicesendungen folgt. Aussichtsreiche Bewerberinnen sind etwa ORF 1-Channelmanagerin Lisa Totzauer sowie TV-Chronikchefin Claudia Lahnsteiner.

Zu alldem gesellen sich noch weitere wichtige Positionen, die der ORF 2022 mit Inbetriebnahme des multimedialen Newsrooms am Küniglberg zu besetzen hat. Der Bau des 303 Millionen Euro schweren Projekts ist seit über drei Jahren im Gange. Ist er fertiggestellt, übersiedeln auch für das Radio tätige ORF-Mitarbeiter ins ORF-Zentrum. Gemeinsam mit TV und Text soll es künftig eine multimediale Führungsstruktur geben, wobei starke Sendungsteams zur Wahrung der Unabhängigkeit und Vielfalt erhalten bleiben sollen. Die Umsetzung der neuen multimedialen Struktur kündigte Weißmann für in etwa Sommer an. Zuseherinnen und Zuseher werden die Inbetriebnahme des Newsrooms unter anderem auch an einem neuen „ZiB“-Studio im Herbst erkennen.

Ursprünglich wollte noch der scheidende ORF-Generaldirektor Wrabetz über die zentralen Führungskräfte im neuen Newsroom entscheiden. Später hieß es, dies geschehe im Einvernehmen mit Weißmann. Zu besetzen sind etwa multimediale Ressortchefs oder auch der neue Newsdesk, bei dem die Bereiche „Monitoring“, „Verification“, „Aktuelle News“, „Live-Teams“ und „Social Media“ angesiedelt sein werden.

Als wären nicht schon genug (Personal-)Entscheidungen im ORF zu treffen, werden im kommenden Jahr Publikumsrat und Stiftungsrat neu besetzt, wobei einzelne Mitglieder natürlich auch verlängert werden können und wohl auch werden. Die Funktionsperiode für die beiden ORF-Gremien beträgt vier Jahre. Der Publikumsrat wird bei seiner konstituierenden Sitzung unter anderem sechs Mitglieder aus den eigenen Reihen für den Stiftungsrat bestimmen.

Die konstituierende ORF-Stiftungsratssitzung wird am 19. Mai stattfinden. Derzeit kommt der bürgerliche „Freundeskreis“ mit ein paar ihm nahestehenden unabhängigen Räten auf eine Mehrheit im Stiftungsrat. Großartige Verschiebungen sind hier nicht zu erwarten. Lediglich der den Grünen nahestehende „Freundeskreis“ dürfte wachsen, sofern die drei 2018 aus dem Publikumsrat entsandten FPÖ-nahen Räte auf Wunsch der Grünen mit ihnen nahestehenden Personen ersetzt werden. Eine gewichtige Entscheidung haben die Stiftungsräte der kommenden Periode voraussichtlich nicht zu treffen: Wer nächster ORF-Generaldirektor wird. Schließlich ist dessen Funktionsperiode fünf Jahre lang und übertrifft damit jene der Räte.

2022 bringt auch höhere ORF-Gebühren für Österreichs Haushalte. Das wurde vom Stiftungsrat 2021 beschlossen und tritt in Kraft, sobald die Medienbehörde KommAustria ihr Okay gibt. Das wird voraussichtlich in den ersten Monaten des neuen Jahres geschehen. Je nach Bundesland variieren die monatlichen Beträge, da Bund und Länder zusätzlich zum Programmentgelt Gebühren einheben. Das Programmentgelt steigt jedenfalls von derzeit 17,21 Euro auf etwa 18,60 Euro und macht grob zwei Drittel der GIS-Gebühren aus.

Die KommAustria hat auch abseits des Programmentgelts zu tun. So befasst sie sich etwa mit einer Sachverhaltsdarstellung des Presseclub Concordia gegen den wöchentlichen Kommentar „Der Wegscheider“ auf Servus TV. Zudem wird sich entscheiden, ob der Leiter der KommAustria, Michael Ogris, für weitere sechs Jahre das Vertrauen der Bundesregierung genießt. Er wurde im Oktober 2016 zuletzt wiederbestellt. Bei der RTR – eine Geschäftsstelle der KommAustria – steht ebenfalls eine Personalentscheidung an. Oliver Stribl, Geschäftsführer für den Medienbereich, muss Mitte August entweder für weitere fünf Jahre verlängert werden oder einer anderen Person Platz machen.

Auch für die Zukunft der „Wiener Zeitung“ wird 2022 ein entscheidendes Jahr. Sie wird ein neues Geschäftsmodell verpasst bekommen. Denn bekanntlich steht die älteste Tageszeitung der Welt nach Ankündigung der Abschaffung der Pflichtveröffentlichungen in gedruckter Form im Amtsblatt auf der Kippe. Der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sah deren Zukunft als digitales schwarzes Brett der Republik, in deren Eigentum sich die Tageszeitung befindet. Ob die neue Medienministerin Raab die Lage ähnlich wie einst Kurz sieht, wird sich weisen. Sie könnte sich auch für ein vom Cognion Forschungsverbund gemeinsam mit der „Wiener Zeitung“-Chefredaktion erarbeitetes Konzept entscheiden. Dieses sieht umfassende digitale Veröffentlichungen von Daten und deren gemeinnützige Aufbereitung als auch eine „Hardcore-Qualitäts-Tageszeitungsredaktion“ vor, wie Chefredakteur Walter Hämmerle erklärte.

Mit Zukunftsprojekten beschäftigt sich auch die APA – Austria Presse Agentur, die gemeinsam mit Österreichs Medien eine Log-in-Allianz entwickelt, die es ermöglichen soll, mit einer User-ID Inhalte medienübergreifend zu nutzen. Die Fertigstellung ist für 2022 geplant.

Wahlfreiheit im neuen Jahr hat auch die ProSiebenSat.1Puls4-Gruppe die sich dann entscheiden kann, ob ATV als eigenständiger österreichischer Sender mit eigener Redaktion fortgeführt wird. Denn 2017 wurde der Sender übernommen. Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) legte Auflagen für zumindest fünf Jahre dafür vor, die unter anderem vorsahen, dass ATV „eigenständig auf Basis eines eigenen Budgets über die Programmgestaltung im Bereich ‚Nachrichten und Information'“ entscheidet und der Sendername erhalten bleibt.

Und nicht zuletzt wird die Medienbranche 2022 auch die Fortführung diverser Prozesse rund um Medienmacher Wolfgang Fellner beschäftigen. Ihm werden mehrere Frauen sexuelle Belästigung vor. Fellner streitet die Vorwürfe vehement ab. Fortgeführt wird etwa ein Prozess rund um seine ehemalige Mitarbeiterin Raphaela Scharf, die gegen ihre fristlose Entlassung klagt. Der Medienmacher wurde in dieser Causa zudem nicht rechtskräftig wegen übler Nachrede gegenüber Katia Wagner – einer weiteren ehemaligen Mitarbeiterin – verurteilt. Dagegen berief er, womit auch hier eine Fortsetzung ansteht.